Masken und Menschen

Die alljährliche Luxemburgkonferenz der jungen Welt und die LL-Demo – beides hatte ein schon etwas angegrauter Mensch wieder einmal besucht. Hier einige Episoden und seine Gedanken dazu:


Im Audimax der Humboldt-Uni präsentiert er am Stand der Hellen Panke Bücher einer untergegangenen Welt. Er ist heimatlos wie die meisten Jungen im Saal. Gleich ihnen hofft er aber auf noch etwas Anderes, als auf die gegebene Gesellschaft, in der über menschliches Leben und Natur letztlich deren Verwertbarkeit bestimmt. Das verbindet. Er teilt aber nicht mehr die im Publikum verbreitete Erwartung, über die Strukturen des proletarischen Klassenkampfes sei eine menschliche Welt zu begründen. Das trennt. Macht ihn das Treiben deshalb einsam, langweilt er sich, so wie offenkundig der Thomas Ebermann? Wie einer, der auf der falschen Fete ist, sitzt der oben neben dem Präsidiumstisch. An diesem zwei PDS-ler, ein tschechischer KP-Führer und eine Gewerkschafterin, die sich über die gegenwärtigen Bedingungen ihres Broterwerbs ereifert, über kapitalistisch-normales Unrecht. Der coole Thomas spricht resonanzlos von dem, was er einst dem J. Agnoli nicht glaubte: Formieren sich menschliche Bewegungen parteienmäßig, um über Staatsinstitutionen ihre Ziel durchzusetzen, dann sind die Erfolge auch schon die Niederlagen. Haben Agnoli/Ebermann Recht? Der Zuhörer hat einst eine Einheitspartei verteidigt und sich nach derem Ende noch verbissen für die sich neu formierende rötliche Nachfolgerin eingesetzt. Er sah darin eine Bedingung von Zivilisation, einer perspektivisch sozialistischen sogar. Inzwischen weiß er, was schon lange erfahrbar war und zwar hinter SPD-Vereinsfahnen, bolschewistischen Bannern samt Schwertern und -Schilden, ebenso wie im Schicksal der 68 unter Ho-Chi-Minh-Bildern, später mit Igel- und Friedenssymbolen Demonstrierenden und ab 89/90 auch im Wandel von einem Teil der DDR-Bürgerbewegten zu großdeutsch Etablierten: Das Partei/Staat-Werden oder das Partei/Staat-Sein bedeutet die Aufgabe einstiger menschlicher Ziele. Der auch mögliche Effekt – die Modernisierung des Alten – hat heute nichts Zivilisierendes mehr an sich. Ebermann sagt’s so: Von der SPD oder den Grünen in die PDS zu wechseln oder überhaupt in irgendeine Partei zu gehen, das hat mit Emanzipation nichts zu tun. Stimmt.

Völlig unbeleckt von solcher Erkenntnis entwirft der von der SPD zum PDS-Vize gewechselte Polit- und Eisstar-Manager Diether Dehm dagegen eine Idylle: Wenn die noch vorhandenen Grün- und SPD-Linken sich mit den demokratisch-sozialistischen verbänden, dann ginge es den Ungerechtigkeiten wirklich an den Kragen. Auch die kleinen Selbständigen würden gerettet. Allerdings bräuchten diese Guten dann noch ein bißchen außerparlamentarischen Druck, etwa von Leuten wie hier im Saal. Die so Vereinnahmten, die mehrheitlich mit dem Ebermann (noch) nichts anfangen können, denken aber gleich gar nicht daran, mit wohldosierten Revöltchen den regierungsorientierten Genossen ihre Funktion im Politbetrieb zu sichern – die des Einfangens, Beruhigens und Einbindens "unserer Menschen".

Für den ältlichen Zaungast sind die Dehmsche Taktikspiele wie die Klassenkampfparolen und Entlarvungsrituale bezüglich der kapitalistischen Normalität nur noch ermüdend. Er kennt diese Sackgassen nur zu gut. Anziehend sind dagegen die Leute, die unspektakulär in Bücherkisten kramten, und vor allem die Frauen, die aufspringen, als das PDS-gestützte Verbot der LL-Demo bekannt wird. Sie verhinderten das Weiterpsalmen auf dem Podium. Eine junge Frau forderte mit funkelnden Augen und ruhiger Stimme ein klares Wort ihrer demokratisch-sozialistischen Partei. Sie sträubt sich noch, anzuerkennen, daß dies schon längst gefallen ist. Es wird ihr spätestens am Folgetag klar werden. Die meisten Leute hier haben jedenfalls hatte kein Bedürfnis nach Unterordnung unter Führungen, lassen sich nicht lange zum Narren halten, sich etwa durch Polizei- und Vorstandsweisungen heimschicken und wieder anfordern. Im ihrem Freiheitsdrang zunächst in eine Sackgasse rennend, werden einige der Jüngeren erst einmal bei rrrrevolutionären Parteien steinalten Typus landen und dann erst entdecken, daß eben das Parteiwerden selbst jede selbständige Bewegung beerdigt. Trotzdem und das ist hoffnungsvoll: Den heutigen Rosas und A. Kollontais und ihren Freunden ist zuzutrauen, daß sie sich bald jenseits der alten ost-westlichen Klassenkampf- bzw. Machtformen auf andere Wege orientieren, um aus einer sich barbarisierenden Gesellschaft herauszukommen.

Ein ruhiges, blondes Mädchen etwa kramt aus den Bücherkisten neben Diderots Nonne auch Marx und das DDR-Wörterbuch der politischen Ökonomie hervor. Warum das Letztere? In die alten Begriffe, so erklärt sie, sind immerhin gesellschaftliche Erfahrungen eingegangen. Gerade Falsches und Besiegtes müsse man verstehend überwinden. Es könne nicht einfach unbegriffen denunziert und abgelegt werden, denn dann bleibe man eigentlich beim Alten, wechsele trotz bester Absicht nur die Formen und komme aus der kapitalistischen Gesellschaft nicht heraus. Der Ältere ist völlig überrascht. Mit solchem Denken läßt sich zum Beispiel verstehen, warum gerade unter der Flagge des Abwendens vom (offenkundig unbegriffenen) Stalinismus nach kurzem Aufflackern von Basisdemokratie sich in der PDS wieder Hierarchien, kleine Machtklüngel, etablierten und warum viele Mitglieder und Wähler genau das als Erfolgsrezept wollen oder dulden. Wie bei der alten SPD und jetzt bereits abgeschlossen bei den Grünen. Die Bewegung ist wieder verschwunden, die Partei, der Apparat, geblieben – ein in Parteien überhaupt offenkundig unaufhaltsamer Prozeß. Das Mädchen gibt ihm Hoffnung. Nicht öde Podiumsdiskussionen, ein Diskurs mit ihresgleichen ist sinnvoll. Wenn solches Denken die alten Politikformen des Ostens und der Arbeiterbewegung ebenso wie die heutigen parlaments- und staatsmachtorientierten Parteien verstehend kritisiert, dann könnten der alte Agnoli sehr schnell begriffen und den Sackgassen von Partei- und Machtorientiertheit ausgewichen werden.

Nächster Tag, Frankfurter Tor. Rundherum Polizeiketten. Allein und wie verloren steht auf dem Mittelstreifen genau diese blonde Frau. In trauriger Wut starrt sie die Allee hinunter auf die Wenigen, die sich von der Staatsmacht und von den PDS-Funktionären nicht zu Hause halten ließen. Den Gruß des Älteren nimmt sie nicht wahr und er akzeptiert das. Was wäre auch zu sagen? Das Trauerspiel macht hinreichend kenntlich, wer welche Rolle spielt. Später kommt er dorthin, wohin die Luxemburg-Skulptur, die einst vorm KL-Haus stand, bereits entsorgt wurde – zum Mehringplatz. Die LL-Demo, die doch noch zustande kam, ist schon weitergezogen, bedrängt von einer Macht, die keine Attentäter jagt. Einige bekannte Genossen, die das Geschehen beobachtet hatten, beklagen das Parteiimage. Einer möchte geklärt haben, wie es möglich war, daß die hier noch einen draufsatteln konnten. Gemeint sind die Demonstranten, deren erfolgreiche Hartnäckigkeit die rötlichen Heimschicker gerade öffentlich blamiert.

Dann dozierte ein Berliner Abgeordneter im eleganten Schwarzen. Marian Krüger ist einer der bekannten Berliner Genossen, die sich nach ‘89 Machavellis Der Fürst reinzogen, dies nicht als Kritik von Machtmechanismen, sondern als Handlungsanleitung. Bei anderen Gelegenheiten hat er sein folgerichtiges Anti-Luxemburg-Credo schon offen verkündet: Jede eigenständige Bewegung blamiere sich gegenüber Institutionen. Diese seien stärker. Man setze also nicht auf selbstaktive Menschen, sondern auf Institutionen. Nun hatten sich DDR-Bürgerbewegungen allerdings als stärker erwiesen als mächtige Institutionen. Sie haben sie schlicht zerschlagen und Herrn K. selbst aus dem Parteiapparat vertrieben. Das ficht ihn nicht an, dann auch diese "Revolution" führte statt zur Selbstbestimmung aktiver Menschen letztlich zur Installation einer neuen Herrschaft. Also wurde Il Principe in seiner stählernen Überzeugung nur gefestigt: Fürsten mit knallhartem Politmanagement entscheiden, alles andere ist Palaver. Was werden solche Leute tun, sollten sie mal richtig über Macht verfügen? Herr K. wäre z. B. gut für den Bereich Inneres geeignet.

Mit dem Blick auf die Tagesereignisse beschwört er jetzt erst einmal ein großes Ereignis. Seine Parlamentsfraktion werde ein gewaltiges Nachspiel im Innenausschuß veranstalten. Warum eigentlich? Ärgert sein machtorientiertes Selbstverständnis, daß die Polizei das Verbot nicht voll durchsetzte? Verstärkt noch durch die Partei-Bemühungen, selbst auch Demonstranten abzufangen, wurde der Zug der Nichtunterwürfigen faktisch auch zu einer Anti-PDS-Veranstaltung. Offen erkennbar wurde: Die Luxemburg und diese Partei, das geht nicht zusammen. Na und? Diese rebellische Tote ist doch auf dem Weg in weitere Regierungskoalitionen sowieso nur hinderlich.

Der Ältere trifft dann noch einen MdB, nit dem das Gespräch lohnt. Im Gewühl hält er Polizisten vom Prügeln ab. Nein, meint dieser Abgeordnete, die PDS hinge gar nicht am Nasenring. Ihre Führung selbst sei Täter. Jener Mann sowie z.B. Ulla Jelpke ringen schon lange darum, solche üblen Entwicklungen aufzuhalten. Ist das nicht Donquichotterie?

Sicher, manche Demonstranten werden von der Staatsgewalt und von Mini-Kaderparteien in die Annahme getrieben, eine neue Gesellschaft ließe sich durch eine der bürgerlichen Staatsgewalt direkt entgegengesetzte, ihr also ähnliche Macht errichten. Die meisten Demonstranten haben aber freiheitliche Bedürfnisse und einen eigenen Kopf. Sie erwarten von Patriarchen und vom Staat nichts. Sie wollen im Falschen nicht nur etwas komfortabler leben. Realistischerweise suchen sie das ganz Andere und sie bewegen sich selbst. Darin liegt die Chance, über den Widerstand gegen staatlichen Terror und rötliche Ankommerei hinaus zum Eigentlichen zu finden, zu neuen Lebens- und Arbeitsweisen. Wer solche Bewegungen wie etwa G. Gysi als krawallmacherisch und dogmatisch denunziert, wer vor allem nicht an dem tatsächlich stalinistischen Erbe, der Staats- und Autoritätsgläubigkeit der eigenen Anhängerschaft, rühren will, sondern diese u.a. mit devoter Haltung gegenüber dem Demoverbot noch bedient, der sollte nicht von Luxemburg reden.

Eine Woche später. Nun polizei- und parteivorstandskonform tragen Tausende "tapfer" ihre Blumen nach Friedrichsfelde. Gewollt oder nicht, nach zehn Jahren befinden sie sich wieder in einer alten Rolle – sie sind medienträchtige Staffage für staatstragende, kranzniederlegende Führer. Und diese werden zu Masken, die die Selbsthandelnden den Sicherheitsorganen überlassen. Auch das ist nicht neu.

Mit Demokratisch-Sozialistischem und mit Luxemburg hat das nichts zu tun.

Ulrich Weiß (ehemals PDS-Landesvorstand Berlin)

485 66 47